Deutsches Lesebuch 1839

deutsches-lesebuch-1839
Kategorie: Historische Darstellungen vor 1900

Deutsches Lesebuch: Eine Sammlung von Musterstücken in Prosa und Poesie fur das mittlere Jugendalter, mit den nöthigen Erläuterungen zum Schul- und Privatgebrauche, Georg Ludwig Kriegk
S. Schmerber, 1839

54. Der Biber.
Der Biber hält sich in den meisten Theilen des nördlichen Asiens und Europa's (in Deutschland am Rhein, an der Weser, an der Elbe und der Donau) auf; am häufigsten aber ist er in Nord-Amerika. Er hat im Großen fast die Gestalt und das Ansehen der Wasserratte und kommt an Umfang einem mittelmäßigen Hunde gleich. Seine Farbe ist gewöhnlich graubraun.
Der Biber ist von Natur sanft und ruhig. Er läßt sich sowohl jung als alt einsangen und ziemlich leicht zähmen und hört dann auf die Stimme des Menschen. Er hat einen schleppenden und langsamen Gang; im Wasser hingegen ist er nicht nur im Schwimmen, sondern auch im Untertauchen sehr schnell. Er hat einen sehr feinen Geruch, und auch die übrigen Sinne sind sehr scharf. Seine Stimme ist ein dumpfes Winseln, welches manchmal wie ein Gebelle lautet.
Der Biber lebt auf dem Land und im Wasser; doch ist das Land sein eigentlicher Aufenthalt, wenigstens kann er im Nothfalle des Wassers als Aufenthaltsortes gänzlich entbehren; hingegen hält er es ohne Luft nicht lange aus und muß, wenn er im Wasser ist, oft Athem schöpfen.
In Europa bewohnen die Biber die Ufer der Flüsse und Seen und halten sich in Gruben auf. Die geselligen Biber aber halten sich nicht bloß an süßen, fließenden und stehenden, Gewässern auf, sondern bauen auch gemeinschaftliche Baue. ^) Wegen dieser Baue sind sie besonders berühmt geworden. Einige Reisende in Nord-Amerika, wo der Biber gesellig lebt, können die Kunst und Ordnung gar nicht genug rühmen, die man an solchen Bauen bemerkt.
Die Vorderzähne der Biber sind sehr stark und vortrefflich zum Benagen des Holzes eingerichtet. Sie leben von Blättern und Baumrinden, und wenn sie fressen, sitzen sie aufrecht und führen
') Die nord-amerikanischen Biber leben allein in großen Gesellschaften beisammen, die europäischen aber nicht. Dies hat höchstwahrscheinlich darin seinen Grund, weil die europäischen in bevölkerten Gegenden leben; dadurch sind sie in zu geringer Anzahl da, als daß sie eine Gesellschaft bilden könnten. Uebrigens bauen sie mitunter auch, aber nur ganz kleine Hütten von einem
Stockwerk.
das Futter, wie die Eichhörnchen, nach dem Munde; den Schwanz haben sie dabei zwischen den Beinen liegend, und er dient il)nen gewissermaßen zum Teller. Sie leben in Gesellschaften von zwei bis dreihundert zusammen und halten sich den ganzen Winter hindurch in Wohnungen auf, die sie sechs bis acht Fuß hoch über der Oberfläche des Wassers errichten. Sie wählen hierzu wo möglich einen Teich, errichten ihre Hauser auf Pfeilern und geben ihnen eine kreisförmige oder ovale Gestalt, welche oben zugewölbt ist, weßhalb ihre Baue an der Außenseite das Ansehen von einem Dome haben; inwendig hingegen haben sie etwas Ähnliches mit einem Ofen. Die Anzahl der Häuser beläuft sich im Ganzen von zehn bis zu dreißig. Finden sie keinen Teich, wie sie ihn wünschen, so lassen sie sich an einem Strome nieder und richten dann den Platz zu ihren Wohnungen mit einer Kunstfertigkeit ein, welche großes Erstaunen erregt.
Das Erste nämlich, was die Biber in diesem Falle anlegen, ist ein Damm, welchen sie auf folgende Weise bauen: Sie legen Pfahle kreuzweise in mehren Reihen über einander, weben Baumzweige dazwischen und füllen sie mit Lehm, Steinen und Sand aus. Dies Alles machen sie so fest, daß, obgleich die Dämme öfters hundert Fuß lang sind, doch ein Mensch mit der größten Sicherheit darüber gehen kann. Unten sind diese Dämme zehn bis zwölf Fuß dick, nach oben hin aber werden sie immer dünner; denn oben an der Spitze sind sie nur zwei bis drei Fuß breit. Sie haben von einem Ende zum andern eine gleiche Höhe, nach dem Strome hin sind sie senkrecht, auf der entgegengesetzten Seite aber schief. Auf diesen Dämmen wächst nun bald Gras, welches die Erde immer fester macht; auch fassen die Zweige, welche in den Damm gelegt sind, gewöhnlich Wurzel, und es entsteht so nach und nach eine Hecke, in welche selbst Vögel ihre Nester bauen. An diesen Damm werden die Wohnungen angelegt und mit der größten Einsicht von Erde, Steinen und Zweigen erbaut; die vorragenden Spitzen werden glatt abgebissen, und das Gebäude auswendig und inwendig mit der größten Nettigkeit übertüncht. Die Mauern sind gegen zwei Fuß dick, uud der innere Raum beträgt sechs bis sieben Fuß im Durchmesser; die Fußböden sind um so viel höher als die Wasserfläche, als uöthig ist, um nicht überschwemmt zu werden. Einige Wohnungen haben bloß einen Fußboden, andere aber drei. Ein
Reisender versichert sogar, daß er in Nord-Amerika in einer Wodmmg, die er untersuchte, nicht weniger als fünfzehn verschiedene Zellen gefunden habe. — Das größere Holz zu ihren Bauen schaffen sie in Flüssen so herbei, daß sie es oberhalb des dazu gewählten Platzes in den Fluß werfen und hinter ihm herschwimmend nach der beliebigen Stelle leiten. Das kleinere Holz schleppen sie in den Zähnen fort; Schlamm und Steine aber tragen sie mit ihren kleinen Vorderpfoten, die sie dicht am Halse zusammen halten.
Die Anzahl der Biber beläuft sich in jeder Wohnung von zwei bis zu dreißig. Sie schlafen auf dem Boden, der mit Blättern und Moos bestreut ist, und jeder Biber soll seine besondere Stelle haben. Sie bleiben immer in einer Wohnung. Werden sie aber in dieser durch ihre Feinde beunruhigt, so bauen sie sich eine neue, und dan» fangen sie schon im Sommer an zu bauen und bringen eine ganze Iahrszeit zu, ehe sie fertig werden und ihre Wohnungen mit Wintervorrath versehen. Dieser besteht vorzüglich in Rinden und zarten Baunrzweigen, die sie nach einer bestimmten Länge zerschneiden und unter dem Wasser auf Haufen legen. Die Indianer geben genau auf die Höhe dieser Haufen Acht, weil sie daraus auf die größere und geringere Kälte des kommenden Winters schließen.
Iede Biberwohnung hat nur eine Öffnung; sie besindet sich unter dem Wasser und ist jedesmal tiefer, als das Wasser im Winter gefriert. Auf diese Art haben sie Nichts von dem Froste zu besorgen. Sind ihre Wohnungen völlig fertig, so legen sie dessen ungeachtet immer noch Werke an, und sie hören nicht eher damit auf, als bis das Wasser zugefroren ist; ja, sie setzen sogar, wenn die Kälte nicht etwa gar zu heftig ist, ihre Arbeit noch einige Nächte hinter einander fort, indem sie in dieser Absicht immer ein Loch im Eise offen erhalten.
Im Sommer zerstreuen sie sich aus ihren Wohnungen, laufen von einem Orte zum andern und schlafen unter dem Schutze von Gebüschen, welche nahe bei Gewässern sind, in Erdhöhlen, die sie sieh graben. Beim geringsten Geräusche fliehen sie ins Wasser, um daselbst einen Zufluchtsort zu suchen; und sie stellen Schildwachen aus, welche durch ein besonderes Geschrei Nachricht von jeder Gefahr geben. Im Winter gehen sie niemals weiter, als nach ihren Norrathshäusern unter dem Wasser; während dieser Iahreszeit werden sie daher auch außerordentlich fett.—
Ein Reisender, mit Namen Dupratz, beobachtete einmal genau das Treiben der Biber und berichtete nachher Folgendes darüber. Er fand nämlich in einem nord-amerikanischen Flusse an einer sehr einsamen Stelle einen Biberdamm, und errichtete, um die Arbeiten der Biber, ungestört und genau beobachten zu können, mit seinen Gefährten nicht weit davon, aber doch so, daß ihn die Biber nicht sahen, eine Hütte. In dieser warteten sie, bis der Mond sehr hell schien*); alsdann nahmen sie Zweige in die Hände, um sich hinter denselben zu verbergen, und begaben sich mit großer Vorsicht und in der größten Stille nach dem Damme. Hierauf befahl Dupratz einem von seinen Leuten, so still als möglich ein ungefähr einen Fuß breites Loch in denselben zu hauen und gleich darauf nach dem versteckten Orte zu laufen.
„ Sobald das Wasser durch das Loch ein Getöse zu machen ansing," erzählt Dupratz, „hörten wir einen Biber aus einer der Hütten kommen und ins Wasser springen. Alsdann sahen wir ihn ans Ufer steigen und bemerkten deutlich, daß er es untersuchte. Hierauf schlug er mit dem Schwanze mit aller Kraft viermal deutlich auf den Boden, und sogleich stürzte die ganze Colonie ins Wasser und kam auf den Damm. Als Alle beisammen waren, schien Einer durch Murmeln eine Art Befehl zu ertheilen; denn sie verließen augenblicklich insgesammt die Stelle und kamen in verschiedenen Richtungen an das Ufer. Diejenigen, welche uns zunächst waren, befanden sich zwischen unserm Standorte und dem Damme; daher konnten wir alle ihre Verrichtungen sehr deutlich sehen. Einige machten eine Art Mörtel, Andere nahmen diesen auf ihre Schwänze, die ihnen hierzu statt der Schlitten dienten. Ich sah, daß sich zwei und zwei zusammen hielten, und daß einer den andern belud. Sie schleppten den Mörtel, der ziemlich unbiegsam war, bis nach dem Damme hin, wo Andere standen, um denselben in Empfang zu nehmen; diese thaten ihn in das Loch und machten ihn mit ihren Schwänzen fest."
„Der Lärm auf dem Wasser hörte bald auf, und die Öffnung war völlig ausgebessert. Ein Biber schlug alsdann mit seinem Schwanze zweimal auf den Boden, und sogleich eilten alle Biber ohne Geräusch nach dem Wasser und verschwanden."
') Denn der Biber verrichtet alle feine Arbeiten bei Nacht.
Dupratz begab sich hierauf nebst seinen Gefährten in feine Hütte, um auszuruhen, und störte die Biber bis zum andern Tage nicht weiter. Den folgenden Morgen gingen sie zusammen nach dem Damme, um seine Bauart zu besehen; sie mußten daher ein Stück davon herunter hauen. Der Lärm aber, den dies verursachte, machte die Biber wieder aufmerksam. Sie schienen durch das, was Dupratz und seine Gefährten thaten, sehr unruhig zu werden; besonders sah man einen ganz nahe an sie herankommen, als ob er sehen wollte, was vorginge. Da nun Dupratz besorgte, die Biber möchten sich in die Wälder flüchten, wenn sie dieselben weiter störeten, so rieth er seinen Gefährten, sich nochmals zu verbergen.
„Einer von den Bibern," fährt Dupratz fort, „wagte sich dann hervor und ging an die Öffnung, nachdem er sich mehrmals genähert hatte und wie ein Spion zurückgekehrt war. Er sah sich auf dem Platze um, dann gab er wie den verhergehenden Abend mit seinem Schwanze vier Schläge. Alle kamen darauf wieder hervor und gingen zur Arbeit; einer von ihnen schlich sich an mir vorbei, und da ich einen zu meiner Untersuchung zu haben wünschte, so schoß ich ihn. Beim Flintenknalle aber rissen alle weit schneller aus, als es bei hundert Schlägen ihrer Wache der Fall gewesen sein würde; und als ich noch mehre Male auf sie feuerte, flohen sie Alle äußerst schnell in die Walder davon."
Die Biber zeigen eine große Anhänglichkeit an einander. Zwei junge Biber, die man lebendig gefangen und nach einer nahen Factor« an der Hudsons-Bai gebracht hatte und da eine Zeit lang fütterte, fühlten sich in diesem Zustande recht wohl und wurden sehr fett, bis einer durch einen Zufall getödtet wurde. Der Überlebende fühlte sogleich den Verlust, fraß Nichts mehr und starb bald darauf. — .
Man weiß, daß Biber vollkommen zahm geworden sind. Der Major Roderfort inNeu-Vork hatte einen zahmen Biber über ein halbes Iahr lang in seinem Hause, wo er, wie ein Hund, frei umherlief. Alle Lumpen und weichen Saehen, die er antraf, schleppte er in einen Winkel, wo er gewöhnlich schlief, und machte sich ein Bett daraus. Die Katze im Hause hatte Iunge und nahm von diesem Bette Besitz, und der Biber machte keinen Versuch, sie davou zu verjagen. Wenn die Katze ausging, nahm der Biber oft die junge Katze, die man am Leben gelassen hatte, zwischen seine Vorderpfoten, hielt sie an seine Brust, um sie zu wärmen, und schien ganz in dieselbe vernarrt zu sein. Sobald die Katze zurückkam, gab er ihr das Kätzchen wieder. Bisweilen murrte er, that aber Niemanden Etwas zu Leide; auch versuchte er nicht, Iemanden zu beißen. —
Im Anfange des Frühlinges bringt das Biberweibchen drei bis vier Iunge zur Welt. Dann gehen die Männchen von Zeit zu Zeit schon aus, um frische Nahrung zu suchen, kehren aber immer nach ihren Wohnungen zurück, bis endlich die Weibchen nach einigen Monaten ebenfalls mit ihren Iungen die Hütten verlassen; dann zerstreuen sie sich in der Gegend.
Das Biberfleisch wird nicht nur von den amerikanischen Wilden, sondern auch von Europäern in Nord-Amerika gegessen. Viele finden es unschmackhaft und fischicht; der Schwanz hingegen soll sehr lecker schmecken.
Am schätzbarsten ist der Biber wegen seines Felles, welches man sowohl als Pelzwerk, als auch zu feinen Hüten (Castor-Hüten) benutzt. Die Felle der europaischen, zerstreut und in Höhlen lebenden Biber taugen wenig; sie sind schmutzig, und das Haar ist abgestoßen. Die nord- amerikanischen Biber dagegen, besonders die canadischen, liefern sehr schöne Felle, und zwar in solcher Menge, daß man an der Hudsons-Bai in kurzer Zeit oft schon 50,000 und darüber erhalten hat. Sie machen einen beträchtlichen Handelszweig aus. Nach Bingley.

Digitale Ausgabe bei Google Books