Schinz: Naturgeschichte und Abbildungen der Säugethiere 1827

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Kategorie: Historische Darstellungen vor 1900

Heinrich Rudolf Schinz (* 30. März 1777 in Zürich; † 8. März 1861 ebenda) war ein Schweizer Zoologe des 19. Jahrhunderts und Verfasser zahlreicher Monografien zu einzelnen Tierarten und der schweizerischen Fauna.

Naturgeschichte und Abbildungen der Säugethiere: Nach den neuesten Systemen zum gemeinnützigen Gebrauche entworfen, und mit Berücksichtigung für den Unterricht der Jugend, Heinrich Rudolf Schinz, In Brodtmann's lithographischer Kunstanstalt, 1827 - 349 Seiten

Seite 186ff

1te Gatt. B i b e r. Castor. Castor (Linn.)

Vorderzähne sehr stark; die vordere Flache derselben glatt„ die hintere eckig. Baekenzähne 4-4-4-4 ihre Krone ist fast platt, und zeigt oben krumme Linien von Schmelz und Ausschweifungen an den Seiten , nämlich drei äußere und eine innere in der obern Kinnlade, und eine äußere und drei innere in der untern Kinnlade.

Die Augen klein; die Ohren kurz und abgerundet. Die Füße fünfzehig„ die vordern kurz„ die hintern langem und durch eine Schwimmhaut verbunden. Der Schwanz breit glatt„ eiförmig„ schuppig, nackt. An den Seiten der männlichen Geschlecbtstheile sitzen zwei Drüsensäcke, welche eine stark riechende bräunliche Salbe absonderm die man Bibergeil nennt.

Der Magen ist gegen den Pförtner hin erweitert und am Pförtner nur wenig verengert; der Blinddarm ist sehr weit, ohne innere Falten; die Speicheldrüsen sind sehr groß.

Taf.72. Der gemeine Biber. Castor fiber. (Linn.)
Le Castor.

Die Schnautze sehr kurz und dick, da die Vorderzähne so groß und stark sind, daß die Lippen sie nicht ganz bedecken; die Zähne sind pomeranzengelb. Die Schnurrbarthaare borstig und dick, aber nicht sehr lang. Die Augen klein und schwarz. Die Ohren kurz, fast im Pelze verborgen. Der Hals sehr kurz. Der Scheitel glatt; die Nase gebogen. Der Körper stark und dick, besonders am hintern Theil; der Rücken gebogen; die Vorderbeine sehr kurz, auch die hintern nicht sehr lang; dagegen die Füße stark und alle Zehen durch eine Schwimmhaut verbunden, welche bis zu den Klauen geht, Die vordern haben starke Nägel, und ganz gespaltene Zehen, von welchen der Daum sehr kurz ist. Säugewarzen finden sich vier, zwei zwischen den Vorderbeinen und zwei an der Brust. Der Schwanz ganz glatt, lang, an den Seiten schneidend, an der Spitze abgerundet, nur an der Wurzel behaart, alles übrige aber mit harten, kleinen, runden. mehr leder- als hornartigen Schuppen bedeckt; zum Schwimmen vortrefflich zu gebrauchen.

Die Haare von zweierlei Farbe, das Wollhaar kurz, sehr weich und seidenartig, dunkel braungrau, unter den längern, rothbraunen, feinen, glänzenden Haaren verborgen. Der Pelz einfarbig rothbraun, unten etwas heller. Die Farbe soll aber
sehr variren, wahrscheinlich nach Aufenthalt und Jahrszeit. Es giebt falbe, olivenbraun überlaufene, ganz schwarze, ganz weiße und gefleckte Biber. Die letztern sind Albinos und finden sich nur einzeln.

Länge eines recht großen Bibers von der Schnautze bis zur Schwanzwurzel 2 1/2 bis 3 Fuß. des Schwanzes 1 Fuß; Schwanzbreite über 4 Zoll. Gewicht 50 bis 60 Pfund.

Man hat die Meinung aufstellen wollen, der amerikanische Biber sey vom euroräischen verschieden, und lebe allein in großen Gesellschaften, der europäische dagegen lebe einsam; doch höchst wahrscheinlich sind nur die Umstände daran Schuld, und der eine lebt einsam, weil die Art selbst selten ist und in bevölkerten Gegenden hauset.


Der Biber findet sich in Amerika vom nördlichen Canada vom 30. bis zum 60. Grade nördlich bis zu den Küsten des atlantischen Meeres; in Asien, an den Flüssen Sibiriens, und in Europa bewohnt er nur noch sehr sparsam die nördlichen und gemäßigten Gegenden, man findet ihn am Rhein, an der Elbe, Weser und Rhone, am häufigsten noch an der Donau, von Linz an bis zu ihrem Ausflusse ins schwarze Meer. Ehemals war er viel häufiger, und weiter verbreitet, man fand ihn in der Schweiz und in ganz Deutschland.

Kein Säugethier ist seiner Kunstfertigkeit halber so berühmt geworden, wie der Biber; allein auch hier hat die Liebe zum Wunderbaren eben solche Uebertreibungen hervorgebracht, wie wir sie häufig in der Naturgeschichte der Thiere vorfinden. Man hat ihre intellektuellen Eigenschaften allzusehr erhoben, und diese stehen doch, wenn man überhaupt die Kunsttriebe der Thiere betrachtet, gerade bei denjenigen Thieren, welche am meisten Kunsttriebe zeigen, auf einer niedrigern Stufe. Die Kunsttriebe sind angeboren; nicht erlernt, sie können nicht vervollkommnet werden, sondern bleiben sich gleich; die intellektuellen Fähigkeiten dagegen sind einer weitern Entwickelung und Ausbildung fähig. Nun aber steht der Biber, als Künstler so berühmt, weit hinter dem Affen, dem Hunde, dem Elephanten.

Der Biber ist von sanfter Gemüthsart, und lebt friedlich mit andern Thieren und mit andern Bibern. Er kann jung leicht gezähmt werden, und ist dann ein ruhiges, etwas trauriges Thier, ohne heftige Leidenschaften, und lernt sogar das Wasser entbehren, das doch in der Freiheit sein liebstes Element ist.

Seine Stimme, wenn er unruhig ist, oder etwas verlangt, besteht in einem dumpfen Geschrei oder Winseln welches zuweilen in eine Art von Gebelle ausartet.

Seine Kunsttriebe zeigt er nur dann, wenn er in Gesellschaft zusammenlebt, und wenn man auch alles Fabelhafte und jede Uebertreibung wegnimmt, so bleibt ihre Arbeit immer noch etwas Wunderbares und höchst Merkwürdiges.

Die Biber wohnen immer in der Nähe großer Flüsse oder Seen. Im Sommer in den Erdhöhlen, welche sie mit ihren Vorderpfoten in die Ufer der Gewässer eingraben; im Winter in Gebäuden. welche sie an den Ufern oder auch in der Mitte der Gewässer aufführen.

Man sieht zwar gar nicht selten auch im Winter Biber in Höhlen; gewöhnlich aber, wenn der Winter sich nähert, verlassen sie die Höhlen wo sie einsam lebten, und bilden mit ihren Nachbarn Gesellschaften von zwei bis dreihundert, um gemeinschaftlich ihre Gebäude aufzuführen. Zu diesem Zweck wählen sie eine Stelle in einem Fluß oder See, welche so tief ist, daß sie auch im strengsien Winter nicht auf den Grund einfriert. Wenn es ein stillstehendes Waffer ist, so bauen sie ganz am Ufer; ist es aber ein Fluß, so fangen sie damit an, einen Damm zu bauen; dieser hat auf der dem Strome entgegengesetzten Seite eine convere Gestalt. Am Grund ist er 10 bis 12 Fuß breit, und besteht aus in einander geflochtenen Zweigen , deren Zwischenräume durch Steine und Schlamm angefüllt, und deren Aeußeres mit Schlamm überzogen wird. Seine Ausdehnung ist oft bedeutend, und nach einigen Jahren ist er meist mit Grün überdeckt, und oft mit Bäumen bewachsen, da das Holz, woraus er beiieht, meist Weiden oder Erlen, Wurzeln schlägt, und so Aeste treibt. Der Damm hat zum Zweck, das Wasser zu schwellen und in einer bestimmten Höhe zu erhalten. Dieser Damm wird immer gemeinschaftlich von der ganzen Gesellschaft gebaut, so bald er aber beendigt ist, trennen die Biber sich in eine gewisse Zahl von Familien, und jede einzelne baut sich nun ihre Wohnung. Jede Familie besteht aus einem alten Männchen, einem Weibchen und einigen jüngern Thieren.

Die Wohnungen sind am Damme angelehnt, und eben so wie dieser, doch weniger fest, aus Zweigen gebaut, Die vorragenden Spitzen werden glatt abgebissen, und aus- und inwendig wird das Ganze mit Schlamm überzogen. Die Form dieser Gebäude ist sehr unregelmäßig, beinahe eiförmig, inwendig halten sie 6 bis 7 Fuß im Diameter, oben sind sie abgerundet und bedeckt. Die Abtheilungen, welche man in einigen findet, scheinen zufällig. Im höchsten Theil dieser Wohnung, wo sie am meisten vom Wasser entfernt ist, lebt die Familie, und legt dort die Wintervorräthe ab. Die Wohnung hat keinen andern Eingang, als unter dem Wasser; durch diesen entflieht die Familie in Gefahren oder besucht auch ihre Nachbarn, da jede einzeln steht. Alle Arbeiten werden im Anfang des Winters gemacht.

Der Schwanz des Bibers dient ihm nicht, wie man gefabelt hat, als Hammer oder Mauerkelle sondern einzig zum Schwimmen; auf dem Lande schlepot er ihn dem Boden nach. Die Zweige zum Bau beißt er mit seinen starken Zähnen ab; gräbt mit seinen Vorderfüßen in die Erde, sowohl außer als unter dem Wasser, und bedient sich ihrer, so wie der Zähne, hauptsächlich als Bauinstrument; die Erde, welche er braucht, bringt er im Munde oder mit den Vorderbeinen hinzu. Man sagt, und es ist auch nicht unwahrscheinlich, das er größere Zweige oberhalb seines Baues abschneide, so daß sie in den Strom fallen und herunterschwimmen, wobei dann der Biber schwimmend ihren Lauf leite. Dagegenist es gewiß übertrieben, wenn man angiebt, die Biber fällen mit ihren Zähnen die größten Bäume, indem sie anfangs einen Kreis rund um den Baum abnagen, und dann immer im Kreise um denselben herum laufen, einer seine Zähne in die Rinne des vorigen sehend, wodurch der dickste Baum in wenigen Minuten fallen müsse. Dabei sollen sie auf der Seite, wo der Baum fallen soll, tiefer einschneiden, und wohl zu unterscheiden wissen, wenn derselbe bald fällt, um zu rechter Zeit sich in Sicherheit zu setzen. Gesetzt auch, sie würden wirklicht dergleichen Bäume zu fällen im Stande seyn, was würden ihnen solche nützen, da alle ihre vereinten Kräfte nicht hinreichen würden, einen solchen Baum auch nur im Wasser zu leiten, geschweige ihn zu befestigen.

Alle Arbeiten der Biber werden des Nachts verrichtet, und geschehen mit bewundernswürdiger Schnelligkeit. Die Wohnungen werden jedes Iahr zur gehörigen Zeit ausgebessert, denn sie kehren immer wieder zu ihren alten Wohnungen zurück, wenn sie nicht sehr beunruhigt werden, oder einen bessern Bauplatz auffinden.

Der Biber nährt sich vorzüglich von den Wurzeln verschiedener Wasserpflanzen und von Baumrinde, besonders der Birken, Erlen, Weiden, Eschen in Amerika des Biberbaums oder der Magnolia. Im Sommer fressen sie die Wurzeln von Calmus, der Seerosen, der Schilfe u.s.w. Von diesen Pflanzentheilen sammelt der Biber sich so viel Wintervorrath, daß er bei strenger Kälte seine Wohnung nicht verlassen muß.

Der Gang des Bibers ist so langsam, daß ein Mensch ihn leicht einhole; dagegen schwimmt und taucht er vortrefflich, doch letzteres nicht lange. Sie fressen auf den Hinterbeinen sitzend, wie die Eichhörnchen und viele andere Nager, wobei sie aber den Schwanz zwischen die Beine nehmen. Ihre Sinne sind gut, aber ihre Vertheidigungswaffen sind schlecht. Sie find sehr reinlich. Die europäifchen Biber bauen nicht, da ihre Anzahl zu sehr abgenommen hat, als daß sich eine hinlängliche Menge vereinigen könnte, '
Die Paarung geschieht im Winter; das Weibchen soll 4 Monate tragen, und im März zwei bis drei blinde Junge werfen, welche es vier bis sechs Wochen säugt, nach welcher Zeit das Junge schon Rinde genießen kann. Im zweiten Jahr sind sie erwachsen und wahrscheinlich bringen sie ihr Leben nicht über 15 Iahre.
Man ißt das Fleisch des Bibers, es soll aber nicht sehr gut seyn, und der hintere Theil fischartig und thranig schmecken. Der Schwanz soll dagegen einen angenehmen Geschmack haben.
Nahe am After sammelt sich in einem eigenen Beutel aus besondern Drüsen ein gelbliches, zähes und schmieriges Wesen, von unangenehmem, starkem Geruch, und eckelhaft bitterm Geschmack; diese Materie ist unter dem Namen des Bibergeils oder Castoreum bekannt, und wird als ein krampfstillendes aber etwas erhitzendes Arzneimittel oft gebraucht, doch ehemals mehr als jetzt. Wozu es dem Thiere selbst dient, isti unbekannt, vielleicht zur Einsalbung der Haare. Man findet ihn bei beiden Geschlechtern, doch bei den Weibchen in geringerer Menge. Drei Biber zufammen liefern etwa 1 Pfund.

Die Biberfelle haben einen bedeutenden Werth, und werden theils als Pelzwerk, theils zu den feinen sogenannten Castorhüten gebraucht. Die Ausfuhr von Biberfellen war daher ehemals sehr bedeutend für Nordamerika, so daß jährlich nur an der Hudsonsbay über 50,000 Biber getödtet wurden, und in allem jährlich die Zahl der ausgeführten Biberfelle auf 80,000 und höher stieg, allein die Menge dieser Thiere mußte durch so ungeheure Metzeleien sich nach und nach vermindern, doch werden noch sehr viele gefangen. Je schwärzer und dunkler der Balg ist, desto mehr wird er geschätzt. In Europa sind sie zu wenig zahlreich, um in Betrachtung zu kommen, Die Zeit ihrer gänzlichen Ausrottung in England soll auf das Jahr 1188 fallen. In der Schweiz sind sie noch vor hundert Jahren vorgekommen.
Außer dem Menfchen haben sie Feinde an mehrern Raubthieren, besonders am Vielfraß. Man fängt sie in Tellereisen, oder mit starken Netzen im Wasser, oder ereilt sie auf dem Lande, und schlägt sie todt, Sie werden zu diesem Zweck mit Hunden aus ihren Höhlen getrieben.
Herr Friedrich Cüvier machte über die Lebensart einiger zahmer Biber in Paris folgende Bemerkungen: Man nährte sie besonders mit Weidenzweigen, von welchen sie die Rinde genossen; so bald die Zweige geschelt waren, zerbissen sie dieselben in kleine Stücke, und häuften sie am Gitter ihres Behälters auf. Herr Cüvier glaubte darin die Negung ihres Triebes zum Bauen zu entdecken, und ließ ihnen daher Erde, Stroh und Baumäste geben. Den folgenden Tag waren alle diese Materien vor dem Gitter so angehäuft, daß sie dasselbe zum Theil verschlossen. Da sie am Tage nicht arbeiteten, so wurden sie bei der Nacht durch angebrachte Oeffnungen beobachtet. Da man ihnen neue Materialien gegeben, so suchten sie vorerst alle Oeffnungen zu vermachen, durch welche Luft und Licht eindringen konnte, Auf einem Erdhaufen sitzend warfen sie die Erde und die damit gemischten Holz- und Strohstücke, indem sie die Dinge mit den Vorderfüßen ergriffen, mit Gewalt hinter sich nach der Seite, wohin sie dieselben haben wollten, oder sie bildeten daraus mit dem Mund und den Pfoten kleine Massen, welche sie an den Ort hinschoben, oder sie trugen sie auch ganz einfach im Munde dahin, und driickten alles ohne weitere Ordnung mit der Schnautze zusammen, wodurch eine ziemlich feste Wand entftand. Einigemale bemerkte Herr Cüvier, daß einer der Biber einen Stock quer in den Mund nahm, um ihn mit Kraft in diese Wand einzudriicken und zu befefestigen, ohne einen andern Zweck zu verrathen. Sie konnten sogar solche Reiser oder Stöcke mit einer Hand fassen, und die kleinsten Dinge ergreifen. Wenn die Enden der Stöcke allzulang waren, wurden sie sogleich abgebissen. Hatten sie zufällig Brod oder anderes Eßbares mit in die Masse verfiochten oder verknettet, so suchten sie diese wieder vor, wenn sie Hunger hatten. Sie waren sehr reinlich, schliefen immer an demselben Orte, und entledigten sich ihrer natürlichen Bedürfnisse so weit davon weg, als möglich. Wenn sie schlafen wollten, so putzten sie sich mit ihren Vorderfüßen, und schafften die kleinsie Unreinigkeit weg. Sie fraßen immer im Wasser sitzend. Glaubten sie sich in Gefahr, so gaben sie ein dumpfes Getöne von sich, schlugen mit dem Schwanze kräftig auf den Boden, und warfen sich auf den Gegenstand. Am Tage schliefen sie fast immer. Sie zeigten also auch in der Gefangenschaft ihren Trieb zu bauen. (Abbildung nach der Natur.)

Man traf fossile Ueberreste von Bibern in Torfmooren an, und in den Kohlenwerken am Zürichsee findet man nicht selten Zähne und Kinnladen von Bibern, welche in nichts von den jetzigen Bibern abzuweichen scheinen, Herr Fischer beschreibt Ueberreste von Bibern aus der Gegend von Asov, welche einer bedeutend größten Art angehört haben müssen, und nennt sie daher castor trogontherium, Auch am Rhein hat man fossile Biber gefunden.

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Seite mit Darstellung des Bibers im Original vorhanden.

Original im DinA2 Rahmen x