Page 3 - Die Ulmer Castorologia
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Einleitung des Herausgebers
Aus Fauna wird Pharma
Seit Jahrtausenden nutzt der Mensch neben pflanzlichen Rohstoffen auch Tierprodukte zur Herstellung von Heilmitteln. Deren manchmal im Wortsinne „sagenhafte“ Wirksamkeit hat nicht nur zur Auslöschung der Biberpopulationen vieler Länder beigetragen, sondern gefährdet aktuell beispielsweise die Bestände von Tigern oder Nashörnern.
Das aus den Duftdrüsen des Bibers gewonnene Bibergeil oder Castoreum gehört zu den meist gefälschten historischen Arzneimitteln. Seit der Antike bis zur Ausgabe des deutschen Arzneibuches von 1872 wird vor den Machenschaften von Produktfälschern gewarnt, die Ärzten und Apothekern für teures Geld gestreckte Ware oder gar Ziegenhoden anboten.
Die behauptete Wirksamkeit des Castoreums wird oft mit traditionellen Heilpflanzen in Zusammenhang gebracht, die sich im Nahrungsspektrum des reinen Vegetariers befinden:
Rinden von Weiden, Pappeln, und Espen enthalten Salicin, Grundstoff des 1899 zum Patent angemeldeten Medika- mentes Aspirin. Kalmus (Acorus calamus) gilt als kräftigend und appetitanregend. Fieberklee (Menyanthes trifolia-
ta) wird bei Appetitlosigkeit und Verdauungsstörungen eingesetzt. Stumpfblättriger Ampfer (Rumex obtusifolius L.) wird eine blutreinigende, abführende und harntreibende Wirkung zugeschrieben. Gewöhnlicher Froschlöffel (Alisma plantago-aquatica) wird gegen Kopfschmerzen und als Abführmittel angewendet. Beinwell (Symphytum spec.) wird bei Knochenbrüchen, offenen Wunden und Prellungen gewählt. Seerose (Nymphaea Alba) wurde traditionell bei Blutungen und Schlaflosigkeit angewendet. Gelbe Teichrose (Nuphar lutea) Einsatz bei Kopfschmerzen und Darmkatarrh sowie Impotenz. Echtes Mädesüß (Filipendula ulm.) gilt als schmerz- und fieberstillend.
Mitte des 19. Jahrhunderts verschwand mit dem Biber in Deutschland – bis auf einen kleinen Bestand an der mittleren Elbe- auch die Anwendungshäufigkeit in der Medizin. Es mehrten sich die kritischen Stimmen, die die Nützlichkeit des Castoreums allgemein in Abrede stellten.
Die Biberpopulationen erloschen im Verfolgungsdruck von 2500 Jahren griechischer, römischer und arabischer Medizin- tradition ebenso wie durch den globalen Handel mit ihrem wertvollen Pelz.
1848 erwarb der Ulmer Apotheker Ernst Gustav Leube, Besitzer der Kron-Apotheke, das letzte Biberpaar; es wurde beim Zusammenfluss der Brenz in die Donau bei Lauingen erlegt. Rund 150 Jahre später, im Jahr 2001, tauchten erst- mals wieder Biber im Ulmer Stadtgebiet auf – Nachfahren des 35 Jahre zuvor in Neustadt an der Donau begonnenen Wiederansiedlungsprojektes des BUND Ehrenvorsitzenden Hubert Weinzierl.
Die Ulmer Castorologia
Die weltweit umfassendste Sammlung historischer biberbasierter Medikamente, Castorologia, entstand 1685 in Ulm, verfasst vom Stadtarzt Johann Franc (latinisert Francus) auf der Basis des Manuskriptes seines verstorbenen Kollegen Johannes Mayer (latinisiert Marius, 1601-1658). Sie dokumentiert akribisch die Erfahrungen und Rezepte süddeutscher Ärzte und beförderte in vielen Ländern die Bejagung des Bibers. Franc veröffentlichte zu Lebzeiten (1649-1725) eine Reihe von Fachartikeln und Büchern, u.a. ein siebenbändiges Herbarium.
Die Castorologia ist eine – auch an heutigen wissenschaftlichen Maßstäben gemessen – eigenständige wissenschaftliche Veröffentlichung mit genauen Rezepturen, die sich nicht im Zitieren antiker Quellen und mittelalterlicher Naturkun- diger erschöpft. Johann Franc und Johannes Mayer berichten aus eigener ärztlicher Praxis, zitiert werden aber auch Ärztekollegen, Wissenschaftler und Geistliche aus Ulm sowie Memmingen, Marburg, Kirchheim, Windsheim, Geislingen, Tübingen, Altorf, Taugendorf und Worms.
Franc vermeidet weitschweifige Ausführungen, schreibt stellenweise recht unterhaltsam und distanziert sich auf humorvolle Weise von medizinischen Aussagen, die er für nicht glaubhaft hält. Augenzwinkernde Empfehlungen wie zum Beispiel im „Allgemeinen Thierbuch“ des Schweizer Arztes und Naturforschers Conrad Gesner (1515-1565) das Bi-
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