Illustrirte Naturgeschichte des Thierreichs, Band 1, Naturgeschichte der Säugethiere, mit 1100 Abbildungen, Leipzig, Verlagsbuchhandlung von J.J. Weber, 1847
Seite 146f
Siebente Familie.
Biber. XXIX. Biber. (Castor.) Gattungscharakter: Nagezahne stark, die oberen mit keilförmiger Schneide, die querüber mit einer zur Aufnahme der Schneide der unteren Nagezähne bestimmten Furche versehen ist; Backenzähne überall vier, zusammengesetzt, die oberen auf der Krone mit drei nach außen, einer nach innen gerichteten Schmelzleisten, die auf den unteren umgekehrt stehen. Körper walzig; Ohren klein. Füße fünfzehig; die Hinteren mit Schwimmhaut versehen. Schwanz breit, horizontal abgeplattet, schuppig.
I. Der gemeine Biber. (castor fiber.) Sig. 547, 548.
Inder ganzen Ordnung der Nager ist der Biber wegen seines Kunsttriebes und seiner geselligen Thätigkeit jedenfalls der Berühmteste und verdient allerdings auch die ihm erwiesene Aufmerksamkeit, selbst nach Abrechnung der vielen Unwahrheiten und Uebertreibungen, die seit alten Zeiten über ihn im Umlaufe sind. In lange vergangenen Zeiten scheint er an allen Flüssen des mittleren und nördlichen Europa gemein gewesen zu sein und selbst in England, wo seit vielleicht fünf Jahrhunderten keiner gesehen worden ist, nicht ganz gefehlt zu haben. Giraldus Cambrensis, ein alter Chronist, gedenkt seiner als seltenen Bewohners des Flusses Teify in Wales um das Jahr 1180, und die Gesetze des demselben Lande angehörenden Hoel-dda setzen den Preis eines Biberfelles auf die damals sehr bedeutende Summe von 120 Pence. Jetzt wird der Biber nur vereinzelt in den großen Flüssen des westlicheren Europa angetroffen und vor völliger Ausrottung durch Gesetze geschützt. In Nordasien und Nordamerika lebt er noch in seinen natürlichen Verhältnissen als geselliges, Kolonien begründendes Thier, leidet aber auch da so sehr durch Verfolgungen, daß er sich immer weiter in die Wildnisse zurückzieht, und, zumal im westlichen Nordamerika, augenscheinlich seltener wird. Daß er, gegen gewöhnliche Voraussetzung, auch in verhältnißmäßig warmen Ländern vorkomme, beweist die Entdeckung großer Biberbaue im Euphrat durch Oberst Chesney und seine Begleiter. Von den in Deutschland an wenigen Orten gehegten Bibem ist nicht auf die Sitten der in unverkümmerter Unabhängigkeit lebenden zu schließen. In der Gefangenschaft besonders legen sie jenen Trieb zur Geselligkeit ganz ab, der sie im wilden Zustande zu gemeinsamen, scheinbar ihre Kräfte weit übersteigenden Arbeiten befähigt, und erweisen sich dann unverträglich und bissig. Man hat daher die Ansicht aufgestellt, daß die in Bibercolonien so merkwürdige Einigkeit und das von jeder Selbstsucht freie Arbeiten des Einzelnen für den gemeinsamen Zweck durch Erziehung hervorgebracht werde, indem die Jungen sich den Aelteren und Stärkeren unterordnen müssen und eine Gewöhnung erlangen, die bei den vereinzelt in Gefangenschaft Aufwachsenden nie Wurzel fassen kann.
Die Industrie der Biber ist so bekannt und an vielen Orten so genau beschrieben, daß sie einer weitläuftigen Schilderung kaum bedürftig zu sein scheint. In ihr liegt so viel Ueberraschendes, theils wohl an menschliche Verständigkeit Erinnerndes, daß es nicht zu verwundern ist, wenn die, der vorurtheilsfreien Beobachtung eben nicht ergebene Menge, der Phantasie den Zügel schießen ließ und einfachen Thatsachen theils die sonderbarsten Deutungen unterlegte, theils Fabeln und Übertreibungen beimengte. Biber sind wesentlich bestimmt zum Leben im Wasser, daher, wie Fischottern und ähnliche Thiere, von gedrungenen, abgerundeten Formen, ohne weit vorragende Glieder, vielmehr mit kurzen, aber sehr kräftigen Füßen versehen, die, zum Schwimmen geeignet, nur einen schwerfälligen und schleifenden Gang gestatten. Um Sicherheit gegen Strömungen und Schutz gegen die Winterkälte zu erlangen und um auf angemessene Art sich nähren zu können, müssen Biber Vorkehrungen treffen, Bauwerke errichten, deren Herstellung, gegenüber dem mächtigen Elemente, die Kräfte des Einzelnen weit übersteigt, und daher unterstützen sie sich gegenseitig , arbeiten für einen gemeinsamen Zweck, leben zwar nachbarlich und friedlich, aber ohne weitere Verbindung, sobald das Allen gleich nützliche und unentbehrliche Werk vollendet ist. Da sie ihre Wohnungen vom Wasser, in welchem sie sich allein heimisch und sicher fühlen, umringt haben wollen, so umgeben sie dieselben mit einem Damme, der das Wasser auf gleicher Höhe zu erhalten geeignet ist, nach Oertlichkeit und Verschiedenheit der Strömung in der Richtung wechselt und aus Stücken von Pappeln und Weidenstämmen besteht, die, mit Steinen und Schlamm untermengt, einen ziemlich festen Körper darstellen. Schlagen diese späterhin aus, so erlangt das Ganze das Ansehen einer Hecke und vermag selbst Hochwassern Widerstand zu leisten. Von besonderer Zierlichkeit sind diese Baue keinesweges; niemals dient, wie man gesagt, der Schwanz bei ihrer Errichtung als Kelle oder gar als Schlägel, um die Holzstücken in den Boden zu treiben. Unkünstlicher noch als der Damm sind die durch ihn geschützten, stumpflegelförmigen, aus ganz gleichem Material erbaueten Häuser. Ihr Zugang befindet sich stets unter dem Wasser, indessen ragen sie 5—6 Fuß über dasselbe hinaus und haben 2—3 Fuß dicke, sehr feste Wandungen. Jedes enthält nur eine Kammer, kann aber dadurch zum mehrkamnierigen werden, daß neue Baue an den Seiten angefügt werden, die unter einander nicht in Verbindung stehen und besondere Zugänge haben. Im Spätjahre werden diese Häuser auswendig mit nassem Schlamme dick überzogen, der anfrierend die Wandungen sehr verdickt und dem amerikaschen Biber Sicherheit gegen seinen gefährlichsten Feind, den Vielfraß, gewährt. Merkwürdiger als diese verhältnißmäßig unkünstliche Architektur ist die Anschaffung des erforderlichen Materials. Sie deutet auf eine Fähigkeit zum Nagen, die vorzugsweis als Beispiel angeführt werden sollte, wo der Bau, der Gebrauch, die Ausdauer und die Anwendbarkeit der Nagezähne zu erläutern sind. Der Biber beißt mit einem Male einen zolldicken Zweig durch und fällt durch einzelne Bisse Baumstämme, die bis 18 Zoll querüber messen. Die ausgenagte Stelle umgiebt den Stamm genau ringförmig und zeigt auf ihrer Fläche unzählige schuppenförmige Vertiefungen, die so scharf und glatt, als wären sie durch stählerne Werkzeuge hervorgebracht, die Zeichen einzelner, aber gewaltiger Bisse sind. Eine nicht geringere Kraft als die Beißmuskeln entwickeln die Nackenmuskeln; oft muß der Biber gewichtige Holzstücken nach dem Wasser schleppen, weil es ihm bei aller Vorsicht nicht immer gelingt, den Baum genau in das Wasser fallen zu machen. Ist das abgenagte Stück zu groß für den Einzelnen, so unterstützen sich mehrere und bewältigen das Gewicht durch gemeinsame Anstrengung. Im Herbste werden die Wintervorräthe eingetragen und im unteren Theile der sogenannten Häuser aufgehoben. Sie bestehen aus Zweigen von Weiden und anderen Bäumen, deren Rinde die wesentliche Nahrung des Bibers ausmacht, der weder Fische noch Krebse verzehrt, wie ehedem geglaubt wurde. Alle jene Arbeiten werden nur des Nachts betrieben.
Der Biber erreicht seine volle Größe erst mit Ablaufe des dritten Jahres, ist aber schon im zweiten fortpflanzungsfähig. Ausgewachsen mißt er 2 1/2 — 3 Fuß, ist oben gleichfarbig rothbraun bis in das Schwärzliche, unten Heller; selten kommen weiße, gefleckte oder gelbe Spielarten vor. Der platte Schuppenschwanz mißt 11 Zoll in der Länge, 5 Zoll in der Breite und dient theils im Schwimmen, hauptsächlich aber im raschen Untertauchen. An der zweiten Hinterzehe steht ein Doppelnagel, dessen obere schiefe Schicht als eigentlicher Nagel anzusehen ist. Der Pelz ist bekanntlich von großer Feinheit und besteht aus zweierlei Haaren, von welchen das Woll- oder Grundhaar den Hutmachern zur Verfertigung des feinsten Filzes unentbehrlich ist. Trotz der weiten Verbreitung scheint nur eine Art von Biber zu existiren; sibirische und nordamerikanische unterscheiden sich von den europäischen nicht wesentlich. Die letzteren erreichen indessen eine bedeutendere Größe und sollen ausgewachsen, aber ausgeweidet, bis 45 Pfund schwer sein. Die breiten Schwimmhäute der Hinterfüße gestatten schnelles und geschicktes Schwimmen, während der Schwanz steuert; das Tauchen geschieht mit großer Schnelle; die Fähigkeit, unter dem Wasser auszuhalten, ist zwar bedeutend, hat indessen, wie bei allen luftathmenden Thieren, ihre Gränzen. Die Anatomie des Bibers bietet manches sehr Interessante; der Magen zeigt Theilungen und erinnert an denjenigen des Wiederkäuers; die Mündung der Geschlechtswerkzeuge und des Darmcanals liegen in einer sogenannten Cloake und verhalten sich sonach ähnlich denselben Theilen der oben beschriebenen Monotremen. In zwei dem After naheliegenden Drüsen wird das Castoreum oder Bibergeil abgesondert, ein käseartiger, gelber Stoff von durchdringendem Gerüche, der trocken eine erdartige Beschaffenheit erlangt, als krampfstillendes Mittel einst viel häufiger angewendet wurde als gegenwärtig, und aus Sibirien und Canada gebracht wird. Das sibirische gilt für besser und wird theurer bezahlt. Das Fleisch des Bibers ist eßbar und wird, mindestens von den nordamerikanischen Jägern, für sehr wohlschmeckend erklärt. Zum Fange bedient man sich der Netze und verschieden eingerichteter Fallen; die Jäger der Hudsonsbay Companie, die berühmten Trappers, entwickeln bei dem Aufsuchen des Bibers eine eben so große Kenntniß der Lebensweise des Thieres, als Kunst in der Verfertigung und Aufstellung ihrer Fallen, führen aber, im Kampfe mit dem rauhen Klima, ein eben so beschwerliches als von Gefahren umringtes Leben, und erübrigen höchst selten genügende Mittel, um ihr Alter in Ruhe und sorglos zu verbringen. Ehedem sendete jene Gesellschaft alljährlich an 150.000 Biberfelle nach Europa, gegenwärtig kaum 60.000, obgleich ihre Jäger bis an die Küsten des großen Oceans vorgedrungen sind, und vielleicht ist die Zeit nicht fern, wo die in den Mythen der nordamerikanischen Indier eine Rolle spielenden Biber, ebenso wie jene Eingeborenen, den Weißen im alleinigen Besitze des weiten Landes lassen werden.
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