Antoine Houdart de La Motte (* 17. Januar 1672 in Paris; † 26. Dezember 1731 in Paris) war ein französischer Schriftsteller.
6.Fabel Der Bieber und der Ochs - Herrn Houdart de la Motte
Neue Fabeln aus dem Französischen in deutsche Verse übersetzt und durchgehends mit Kupfern gezieret, Buchhandlung Gottlieb Siegert, Hirschberg 1736
6.Fabel
Der Bieber und der Ochs
Die Bieber Republic, die in der neuen Welt,
Und zwar in Canada die meiste Hofstatt hält,
Will ihre Freyheit nicht vergeben,
Und ohne Zwang und Herrschaft leben,
Wie dort das tapfre Volck am Tyber (1) Strande that,
Das Romulus (2) gestiftet hat
Den einen dieser Herrn hieß ein gewisses Rind
Einst einen groben Kerl. Ich grob? Du bist wohl blind,
Besinne dich doch recht, vielleicht wirst du so heissen,
Sprach unser Bieber drauf; doch ohne uns zu beissen,
So sage doch, was nennst du grob an mir?
Das scheint mir, sprach der Ochs, etwas zu grob, daß ihr
So sehr des Menschen Umgang flieht,
An dem man doch nur lauter Höfligkeiten sieht.
Ihr lebt so für euch hin, der Mensch lebt nach Gesetzen,
Als ein gelehrtes Thier, weiß Wissenschaft zu schätzen;
Ein ander Thier mag noch so viel verstehn,
Es muß beym Menschen doch erst in die Schule gehn.
Wer um ihn ist lernt immer was,
Er weiß weit mehr, als wir. Zwar rühmt man dieß und das
Von euch und eurer Kunst, daß, wo sichs so befindet,
Ihr euch so gut aufs Häuserbaun verstündet,
Und eure Wohnung sey recht lustig an zu schaun,
Ihr pfleget meist drey Stockwerk hoch zu baun.
Man sagt, daß Zaum und Wall herum recht artig sey,
Ihr trügt euch Erd und Holz zum Bau auch selbst herbey,
Und kömtet so zugleich allein
Selbst Träger, Trag und Maurer seyn.
Jedoch was helffen diese Sachen,
Wenn man euch nicht kan zahm und conversable machen?
Der Mensch, der sonsten auch die härtesten Köpfe beugt,
Spricht, daß er mit euch nicht kan zu rechte kommen.
Ist dies die Grobheit, die du an uns wahr genommen,
Und die dich so sehr schimpfiich deucht?
Fragt unser Bieber. Ia! ich mein es, sprach das Rind.
Je, das ist unsrer Klugheit zu zuschreiben:
Denn daß wir Bieber freye Leute bleiben,
Das macht, daß wir behutsam sind.
Gesetzt wir thätens nach, wir suchten so wie ihr,
Des Menschen Umgang zu genüssen:
Es währte keinen Tag, so, glaub ich, würden wir
Ihm, als wie Sclaven, dienen müssen,
Die Häuser nur für ihn, und nicht für uns aufbaun.
Wir könnens leicht aus eurem Joche schaun,
Und unser Unglück durch das eure schlüssen.
Wer Allzumächtigen sich nicht zu kennbar macht
Hägt nicht stets Bauenstolz, er thut es aus Bedacht.
(1) Ein Fluß in Italien, der in dem Apenninischen Gebirge entspringet, und bey dem Rom fürübergeht.
(2) Dieser hat nebst seinem Bruder Remo die Stadt Rom zu bauen angefangen.