Der Physiologus ist eine frühchristliche Naturlehre in griechischer Sprache. Erste Überlieferungen entstanden im 2. bis 4. Jahrhundert n.Chr. Der ursprüngliche Physiologus besteht aus 48 Kapiteln, in denen Pflanzen, Steine und Tiere beschrieben und allegorisch auf das Heilsgeschehen hin gedeutet werden. Der Physiologus fand weite Verbreitung im christlichen Orient und dem mittelalterlichen Europa und wurde in viele Sprachen übersetzt.
Der Biber
Abir ist ein andir tier, daz heizzet Castor, Piber.
ez ist vil milte unde darzuo senfte.
sine geil ist nuzze unde guot, ze erzenie man si tuot.
Phisiologus von sinem geslehte saget, er sprichet: so der Piber sihet, daz man in jaget,
unde er enphliehen niene mage, so bizzet er sin gemeht abe.
zehant vliuhet er, so nimet der jeger die gemeht unde jaget niht mer.
so man abir daz selbe tiere jagit unde ez niht enphliehen mac, so læt ez den jegir sehen, daz ez der
so nejaget er ez niht mer. [gemeht niene hat.
So sculen alle die gebaren, die mit got wellent varen.
si sculen sniden abe in selben alle achust ir herzen
unde ir lichnam unde werfen si den tievil an,
der si zallen ziten jaget, so lebent si mit got, also dei buoch sagent.
Uns manet Sanctus Paulus unde sprichet sus:
„gebet aller mannechlich, daz ir im scult, daz lobe ich.
dem ir den zins scult, dem gebet den, eret, den ir scult eren.
erfullet daz gebot, daz ir got scult, daz gebet got.“
„Aller tiuvellichen werche iuch verzihet, ze got iuch cheret.
mit allen sinnen ir gebet im ere unde minne
als iurem vater, daz wir mit siner helfe
des tieveles zinses erloset werden unde geistlichiu wuochir gewinnen uf dirre erde,
daz wir von guotæten suozzen wunne mit got haben muozzen.“
Es gibt ein Tier, das heißt Castor, Biber. Das ist sehr freigiebig und sanftmütig. Seine Hoden sind sehr nützlich, um daraus Arznei zu machen. Physiologus behandelt auch diese Tierart, er sagt darüber: wenn der Biber merkt, dass man ihn jagt, und er nicht fliehen kann, dann beißt er seine Hoden ab und läuft weg. Dann nimmt der Jäger die Hoden an sich und jagt ihn nicht weiter. Wenn man aber dasselbe Tier jagt und es nicht entfliehen kann, lässt es die Jäger sehen dass es keine Hoden mehr hat und es wird nicht mehr gejagt.
So sollen sich alle verhalten, die ein keusches Leben in Gemeinschaft mit Gott führen wollen. Sie sollen sich selber alle Begierde des Herzens und des Körpers abschneiden und diese dem Teufel vorwerfen, dann können sie ein Leben an Gottes Seite führen.
Der heilige Paulus ermahnt uns und spricht: „Gebt allen Menschen das, was ihr ihnen schuldet. Wem ihr Zins schuldet, dem zahlt den Zins zurück, wem ihr Ehre schuldet, den ehret. Gebt dem Teufel, das was ihr ihm schuldet. Alle teuflischen Werke werden euch verziehen, wenn ihr euch mit ganzem Herzen Gott zuwendet.
Erbringt ihm Ehre, als unserem Vater, dass wir mit seiner Hilfe vom Zins des Teufels erlöst werden und geistliche Erträge gewinnen mögen, dass wir Freude an den guten Taten haben und so ein gottgefälliges Leben führen können.