Beobachtungen über die Lebensweise des europäischen
Bibers (Castor fiber L.) Von Prof. Dr. L. J. Fitzinger in München.
in: Der zoologische Garten Zeitschrift für Beobachtung, Pflege und Zucht der Thiere, herausgegeben von Prof.Dr. C: Bruch V Jahrgang, Frankfurt, Verlag der zoologischen Gesellschaft 1864
Seite 273
Beobachtungen über die Lebensweise des europäischen
Bibers (Castor fiber L.)
Von Prof. Dr. L. J. Fitzinger in München.
Die nachstehenden Beobachtungen über die Lebensweise unseres nunmehr so selten gewordenen europäischen Bibers, welche ich der gütigen Mittheilung des Herrn Ferdinand Exinger zu Wien verdanke, der sich durch lange Zeit mit der Haltung und Pflege der verschiedenartigsten Jagdthiere beschäftigte und auch durch sechs volle Jahre eine Biberzucht unterhielt, die er im Jahre 1851 in einem ziemlich umfangreichen Teiche seines Gartens zu Mödling bei Wien angelegt hatte, weichen in so vielfacher Beziehung von den Angaben, welche über die Lebensweise und die Sitten dieses Thieres in unseren naturwissenschaftlichen Schriften enthalten sind, ab, dass ich es nur für die Wissenschaft als förderlich betrachten kann, wenn ich dieselben der Oeffentlichkeit übergebe.
Die Biber leben, wie bekannt, zu kleinen Familien vereint miteinander, dulden jedoch in ihrem Baue, ihren Geschleifen oder Graben nur Abkömmlinge einer und derselben Familie, durchaus aber kein fremdes, einer anderen Familie angehöriges Individuum.
Die Ranzzeit beginnt gegen Ende Februar und hält 6-10 Tage an. Während dieser Zeit lassen sie häufig kurze grunzende Laute ertönen, welche einige Aehnlichkeit mit den Sylben „Gorm", „Gon", „Orn", „Am", „An", „Oren", „Urn" und „Gurn" haben, und nicht selten vernimmt man dann von ihnen auch einen leisen Schnalzton.
Höchst eigenthümlich ist die Art und Weise, wie sie sich begatten. Nachdem das Männchen sein Weibchen rasch im Wasser verfolgt und dasselbe durch einige Zeit theils auf der Oberfläche, theils unterhalb des Wassers herumgetrieben hat, erheben sich plötzlich beide gegeneinander gewendet bis über den halben Leib senkrecht über den Wasserspiegel, wobei sie mit den Hinterfüssen und dem wagrecht von sich gestreckten platten Schwänze, der fortwährend in Bewegung ist und leise auf und nieder schlägt, das Wasser gleichsam treten und sich gleichzeitig mit den Vorderpfoten und unter Ausstossung grunzender Laute wechselweise liebkosen. In kurzer Zeit darauf tauchen beide im Wasser unter und schwimmen mit grösster Schnelligkeit an das Ufer, wo der Act der Begattung vor sich geht. Kaum befinden sie sich am Rande des flachen Ufers, so wirft sich das Weibchen sogleich auf den Rücken, worauf das Männchen sich so über dasselbe hinlegt, dass die Unterseiten beider Thiere sich gegenseitig decken. Nachdem die Begattung in dieser Stellung, wobei sie sich auch mit den Vorderbeinen umschlingen, unter den zärtlichsten Liebkosungen vor sich gegangen ist, welcher Act einen Zeitraum von 12—18 Secunden in Anspruch nimmt, gleiten beide wieder unverweilt in's Wasser, tauchen auch allsogleich unter und schwimmen am entgegengesetzten Ufer an's Land, wo sie das Wasser rasch vom Körper abschütteln und das Fell sorgfältig mit den Pfoten kämmen und glätten.
Nach sechswöchentlicher Tragzeit wirft das Weibchen in seinem trockenen Baue 2—3 bereits behaarte, aber blinde Junge. Schon nach 8 Tagen öffnen sich die Augenlider und die Mutter führt ihre Nachkömmlinge noch am selben, bisweilen aber auch erst am zehnten Tage, nach dem Eintritte des Abenddunkels mit sich in's Wasser, wo sie sogleich munter umherschwimmen und auch häufig untertauchen. Im dritten Jahre sind sie bereits fortpflanzungsfähig und trennen sich von ihren Aeltern, um sich eigene Baue oder Geschleife zu errichten.
Der halbwilde Zustand, in welchem die Biber bei Herrn Exinger lebten, gestattete ihnen auch, sich an den Ufern jenes Teiches, in dem sie gehalten wurden, ähnliche Baue zu errichten, wie im Zustande der Freiheit.
Hier gruben sie sich in einer Tiefe von 1 1/2—2 Fuss unterhalb des Wasserspiegels, am Abhänge des Ufers, den Eingang zu ihrem Baue, indem sie einen schräg nach aufwärts verlaufenden Gang von 6 bis 12 und zuweilen selbst 18 Fuss Länge anlegten, der zu einer ziemlich weiten Höhle oder einer Art von Kessel führte, welcher in mehrere Abteilungen oder Kammern geschieden war. Niemals hatten ihre Baue aber einen Ausgang, der unmittelbar auf die Oberfläche des Bodens führte, sondern stets nur unterhalb des Wassers.
In diesen Kammern, deren Boden reichlich mit zerbissenen Holzspänen und Splint ausgefüttert war, brachten sie in der Regel den ganzen Tag zu, ohne aus denselben herauszukommen. Ueberhaupt verliessen sie, da sie äusserst scheu und vorsichtig sind, nur höchst selten bei Tage ihre Baue und blos zur Nachtzeit erschienen sie regelmässig ausserhalb derselben. Starke Winde hielten sie auch während der Nacht in denselben zurück. Aus diesem Grunde, wie es scheint, schleppten sie fortwährend Zweige von Weiden, Pappeln, Erlen oder Eschen, deren Rinde i'ast ausschlieslich ihre Nahrung bildet, in ihren Bau, um stets mit einem Vorrathe versehen zu sein, der für mehrere Tage reichte.
Ihre Baue hielten sie sehr rein und niemals setzten sie ihren Unrath in denselben, sondern immer nur im Wasser ab.
Stieg das Wasser und drang dasselbe dann in ihre Baue ein, so graben sie sich rasch eine neue Höhle oberhalb der früher von ihnen bewohnten, da es für sie Bedürfniss war, ihr Lager stets im Trockenen zu haben. Nahm dagegen die Wassermenge sehr stark ab, so dass ihre unterhalb des Wasserspiegels angebrachten Eingänge blosgelegt wurden und über demselben hervortraten, so errichteten sie sich unverzüglich einen neuen Gang, dessen Mündung gleichfalls wieder 1 1/2 - 2 Fuss unterhalb des Wassers angelegt wurde, da sie es sorgfältig vermeiden wollten, beim Ein- und Ausgehen aus ihrem Geschleife gesehen zu werden und deshalb immer die Mündung ihres (langes durch das Wasser deckten.
Da der Gang zu ihrem Baue schräg nach aufwärts führte und die Erdschichte, welche ihren eigentlichen Bau oder ihre Höhle deckte, bisweilen nur 1 1/2 Fuss in der Dicke hatte, so ereignete es sich nicht selten, dass in Folge starker oder anhaltender Regengüsse der durchweichte Boden einbrach. Trat dieser Fall ein, so vereinigten sie sich, um noch in derselben Nacht den Schaden wieder auszubessern. Einige sorgten für die Zerkleinerung des hierzu nöthigen Holzes und zerschnitten mit Hülfe ihrer starken und kräftigen Vorderzähne die in der Nähe befindlich gewesenen Stämme von verschiedener Länge, andere schafften diese Holzstücke an die beschädigte Stelle ihres Baues und legten dieselben in mannigfaltiger Kreuzung übereinander, während ein Theil der Familie damit beschäftigt war, Schlamm aus dem Wasser zu holen, denselben mit Rohr und Graswurzeln zu mengen, zu kneten und sodann mit Hülfe der Vorderpfoten, des Mundes und der Brust an die zur Ausbesserung bestimmte Stelle zu wälzen, um die übereinander gelegten und aufgeschichteten Holzstücke mit demselben zu belegen, zu überdecken und jede vorhandene Oeffnung sorgfältigst zu verschliessen, damit die ganze Familie, welche diese Höhle bewohnte, sowohl gegen das Eindringen der Zugluft, als auch vor Raubthieren in ihrem Baue geschützt war.
Um seine Biber für die erste Zeit des Winters stets mit einem hinreichenden Vorrathe von Holz und Rinde, die ihre Nahrung bilden, zu versorgen, Hess Herr Exinger alljährlich eine bestimmte Menge frisch gefällter Weiden und Pappeln an die Ufer des Teiches bringen, in welchem sich seine Biberzucht befand, und die. einzelnen Stämme so an den Abhängen des Ufers aufschichten, dass sie zum Theil in's Wasser ragten.
Vor dem Eintritte der Kälte zogen die Thiere diese für sie bereit gelegten Bäume regelmässig während der Nachtzeit und zwar einen nach dem anderen an die tieferen Stellen des Teiches, steckten die dickeren und stärkeren Stämme in schräger Richtung und mit der Krone nach oben gekehrt nebeneinander in den Schlamm am Grunde des Wassers und verflochten sie mit den schwächeren Stämmen, die sie in den verschiedensten Richtungen über dieselben legten, sowie mit den Zweigen in einer Weise, dass dieser Bau einem verflochtenen Flosse glich und ein so festes Flechtwerk bildete, dass selbst der stärkste Sturm dasselbe nicht zu zerstören vermochte.
Obgleich der Besitzer dieser Biberzucht, so lange dieselbe bestand, alljährlich Gelegenheit hatte, dieses Zusammenschleppen des Holzes und die Errichtung jenes Baues zur Nachtzeit von einem besonderen Verstecke aus beobachten zu können, wo er das Treiben dieser Thiere unbemerkt belauschte, so geschah dies doch nie mit einer solchen Raschheit und Hast, wie im Jahre 1855, wo am 17. November plötzlich die erste Kälte und zwar mit einer solchen Heftigkeit eintrat, dass binnen 24 Stunden das Wasser des Teiches schon mit einer ziemlich dicken Eiskruste überzogen war, indem das Thermometer, welches Tages zuvor + 4,3 Reaumur zeigte, auf — 3,8 herabgesunken war. Benöthigten sie in anderen Jahren 2 — 3 Nächte, um eine gleiche Menge Holzes vom Ufer wegzuschaffen und in das Wasser zu ziehen, um es dort als Vorrath für den Winter aufzuhäufen, so geschah dies in der Nacht vom 16. auf den 17. November in dem kurzen Zeiträume von nicht ganz neun Stunden.
Die Bäume, welche ihnen Herr Exinger in demselben Monate, und zwar kurz bevor so plötzlich die Kälte eingetreten war, herbeischaffen und an den Abhang des Ufers legen Hess, betrugen eine ansehnliche Menge und füllten zwei grosse Fuhrwerke. Es waren 186 Stämme von 2—3 Klafter Länge und einem Durchmesser von 3—5 Zoll. Munter schwammen die Biber zu jener Zeit noch im Teiche umher, ohne auch nur einen Stamm vom Ufer wegzuholen. Als aber am 16. November des Abends um die achte Stunde mehrere aus ihrem Baue hervorkamen, witterten sie auch sogleich das Herannahen der Kälte, obgleich dieselbe erst am folgenden Tage eintrat. Denn kaum hatten sie ihrer Gewohnheit gemäss geweidet, so schwammen sie auch schon in grösster Eile dem Holze zu und jedes Thier erfasste einen Stamm mit seinen Nagezähnen und schwamm mit demselben der tiefsten Stelle des Teiches zu, wo das Wasser eine Höhe von 1 Vi Klafter darbot. Hier steckten sie die einzelnen Stämme schräg in den Grund des Teiches und betrieben dieses Geschäft in vollster Thätigkeit, so dass sich ein Zug an den andern reihte.
Als ungefähr der vierte Theil der Bäume in den Grund des Teiches eingesenkt war und die Stämme nur noch mit ihren Kronen schräg aus dem Wasser hervorragten, begannen die Biber die Wipfel derselben zu verflechten, um die neu herbeigeschleppten Bäume in mannigfach gekreuzter Richtung über dieselben zu legen und diese wieder mittelst ihrer Zweige zu verflechten, bis das ganze flossäbnliche Gebäude vollendet war und eine bedeutende Festigkeit erlangt hatte.
Schon um 5 Uhr des Morgens waren am nächsten Tage alle Stämme vom Ufer weggeschafft und kein einziger Biber mehr ausserhalb des Baues zu sehen. Jetzt erst konnten sie in ihrer unterirdischen Wohnung ihre Nahrung zu sich nehmen, da bei der Raschheit, womit sie diesmal ihr Baugeschäft betrieben, früher keine Zeit hierzu übrig war. Noch am selben Abende war der ganze Teich fest zugefroren und bereits mit einer % Zoll dicken Eiskruste überdeckt, daher es auch nicht mehr möglich gewesen wäre, das Holz in's Wasser zu schaffen, indem die Eisdecke schon viel zu- stark war, um von den Thieren durchbrochen werden zu können.
Durch diesen so schnellen Eintritt der Kälte kann man sich allein die Ursache der grossen Geschäftigkeit dieser Thiere beim Zusammenschleppen ihrer Wintervorräthe erklären, da offenbar nur ein Vorgefühl für das so plötzlich eingetretene Herabsinken der Temperatur sie zur möglichst raschen Vollendung ihrer Arbeit getrieben haben konnte.
Ist die Wasseroberfläche einmal zugefroren, so holen sich die Biber das zu ihrer Nahrung nöthige Holz unterhalb der Eisdecke stückweise von den eingesenkten Bäumen und schleppen es durch die unter dem Wasser befindlichen Mündungen ihrer Gänge, je nach dem Bedürfnisse, nach und nach in ihre Baue.
Bei strengeren und länger anhaltenden Wintern ist es jedoch nöthig, von Zeit zu Zeit Löcher in das Eis zu hauen und frische Holzstämme in das Wasser einzusenken, da der angehäufte Vorrath nicht zureichen würde, wenn man das Schmelzen der Eisdecke abwarten wollte und die Thiere dann wegen Mangel an Nahrung zu Grunde gehen müssten.
Leider wurde jene Biberzucht im Jahre 1857 aufgegeben, da das Grundstück, wo dieselbe betrieben wurde, an einen anderen Besitzer überging. Sie war nicht blos fordernd für die Wissenschaft, sondern auch in materieller Beziehung lucrativ.
Ich zweifle nicht, dass diese hier mitgetheilten Beobachtungen, welche so mancherlei undeutliche und oft selbst sich widersprechende Angaben über die Lebensweise dieser Thiere aufhellen und auch einige bis jetzt noch nicht bekannt gewordene Thatsachen enthalten, ein allgemeineres Interesse finden und vielleicht dazu beitragen werden, den aus dem grössten Theile von Europa bereits fast völlig verdrängten und beinahe gänzlich in Vergessenheit gerathenen Biber den Freunden der Wissenschaft wieder in's Gedächtniss zurückzurufen, auf dass ihm jene Aufmerksamkeit geschenkt werde, die er als ein für uns in so vielfacher Beziehung nützliches Thier verdient.
Insbesondere aber möchte ich die Verwaltungen der zoologischen Gärten und vorzüglich der deutschen dazu auffordern, die Biberzucht in ihren Instituten einzuführen. Am geeignetsten hierzu dürfte wohl der eben im Entstehen begriffene zoologische Garten zu Breslau erscheinen, wo die Bedingungen zum Gelingen dieses Versuches der örtlichen Verhältnisse wegen aller Wahrscheinlichkeit nach vorhanden sind und die Nähe von Polen und Galizien den Bezug einer grösseren Anzahl von Individuen wesentlich erleichtert.